Warum AWS mit der European Sovereign Cloud neue Maßstäbe setzt

Ich war vor zwei Wochen auf einem AWS-Partnerevent in München. Zwischen all den spannenden Präsentationen gab es eine, die ich strategisch sehr interessant fand: Die erneute, nachdrückliche Betonung des bevorstehenden Starts der AWS European Sovereign Cloud (ESC) bis Ende 2025.

Für einige war dies vielleicht nur eine weitere regionale Ankündigung. Ich halte diesen Schritt für einen der schlausten Züge, die wir im Cloud-Markt seit Langem gesehen haben. Weil er nicht nur ein neues Produkt einführt, sondern eine jahrelange, festgefahrene Debatte im europäischen IT-Markt frontal angreift und potenziell beendet.

AWS European Sovereign Cloud

Die "Feature-Armut" vs. der CLOUD Act

Die letzten Jahre im Cloud-Geschäft waren von einem fundamentalen Kompromiss geprägt. Als IT-Dienstleister standen wir (und unsere Kunden) permanent vor einer binären Wahl:

  1. Team A (US-Hyperscaler): Man bekommt die volle Innovationskraft. Der Preis dafür ist ein massives juristisches und moralisches Bauchgrimmen namens US CLOUD Act. Die Sorge, dass US-Behörden, unabhängig vom Speicherort in Frankfurt oder Dublin, Zugriff auf Geschäftsgeheimnisse erhalten könnten.
  2. Team B (Europäische Hoster): Man bekommt echte Datensicherheit und DSGVO-Konformität. Man konnte mit Fug und Recht argumentieren, dass die Daten sicher sind. Aber auch hier zahlt man einen Preis, nämlich das, was ich hier einfach mal als  „Feature-Armut“ bezeichne. Oft basierend auf OpenStack oder virtualisierten Monolithen, hinkte die Feature-Tiefe und Innovationsgeschwindigkeit meilenweit hinterher.

Jahrelang war unser Hauptargument gegen die Feature-Armut von Team B, dass man bei uns zumindest „echtes europäisches Hosting“ bekommt. Es war ein valides, aber defensives Argument.

Microsofts "Souveränitäts-Bluff"

Dann versuchte Microsoft, diesen Graben mit seiner „EU Data Boundary“ zu überbrücken. Ein Marketing-Versprechen, alle M365- und Azure-Daten in Europa zu halten. Was ist passiert? Die deutschen Datenschutzkonferenzen haben den Bluff erkannt.

Sie stellten mehrfach fest, dass ein datenschutzkonformer Einsatz von M365 nicht nachgewiesen werden kann. Das Problem war nie nur die Data Residency (der Speicherort), sondern die Data Sovereignty (die Kontrolle). Solange ein US-Unternehmen die Kontrolle hat, bleibt die „Hintertür“ des CLOUD Act ein ungelöstes Problem. Microsofts Schlagzeilen in diesem Bereich waren ein PR-Desaster, das die Glaubwürdigkeit der „EU Data Boundary“ fundamental beschädigt hat.

Und genau in diese Wunde stößt AWS nun mit chirurgischer Präzision.

Was AWS in Brandenburg plant, ist keine „weitere EU-Region“. Es ist ein architektonischer und juristischer Neubau, der exakt die Schwachstellen von Microsoft adressiert:

  1. Juristische Entkopplung: Es wird eine neue, in Deutschland gegründete Muttergesellschaft nach deutschem Recht geben.
  2. Operative Entkopplung: Der vielleicht wichtigste Punkt. Der Betrieb, der Support und der physische Zugriff werden ausschließlich von in der EU ansässigen EU-Bürgern durchgeführt. Kein US-Mitarbeiter soll Zugriff haben – der CLOUD Act läuft damit ins Leere.
  3. Technische Entkopplung: Dies ist keine „VLAN-Region“. Die ESC wird eine eigene, getrennte „Partition“ sein. Sie wird über ein eigenes, unabhängiges Identity and Access Management (IAM), ein eigenes Billing und sogar eigene Instanzen für Kern-Dienste wie DNS (Route 53) verfügen.

AWS hat Microsofts schwache Antwort auf die Souveränitätsfrage analysiert und baut nun genau das, was die DSK und das BSI implizit seit Jahren fordern. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass AWS bereits als erster Anbieter das C5-Testat des BSI erhalten hat, ein klares Signal, dass Cybersicherheit und Compliance beim Aufbau der Sovereign Cloud eine zentrale Rolle spielen.

Wäre die ESC eine „Souveränitäts-Cloud-Light“ – also sicher, aber funktional beschränkt – würde sich der Markt kaum bewegen.

Aber AWS verspricht das Gegenteil. Sie haben angekündigt, dass die ESC nicht nur mit den Kern-Diensten (EC2, S3, VPC) startet, sondern auch mit den strategisch wichtigsten Innovationsmotoren.

Was die European Sovereign Cloud für uns als IT-Branche bedeutet

Die AWS European Sovereign Cloud ist eine doppelte Kriegserklärung.

  • An Microsoft: Sie entlarvt die „EU Data Boundary“ als einen unzureichender Marketing-Versuch. Microsoft steht unter massivem Zugzwang, ein technisch und juristisch ebenbürtiges Modell zu liefern.
  • An den europäischen Hosting-Markt: Sie ist ein existenzieller Angriff. Das Alleinstellungsmerkmal „Wir hosten sicher in Europa“ ist wertlos, wenn der Weltmarktführer dasselbe verspricht und das modernste KI-Portfolio obendrauf legt.

Für uns als IT-Dienstleister ändert sich das Spielfeld fundamental, die Debatte „Souveränität ODER Features“ könnte bald beendet sein.

Ich halte die AWS European Sovereign Cloud für eine ausgesprochen positive und notwendige Entwicklung im europäischen Cloud-Markt. Noch ist offen, ob AWS die vollständige juristische und operative Entkopplung tatsächlich in der Praxis erreicht und wie schnell Kunden Vertrauen fassen. Diese Entwicklung könnte die Cloud-Landschaft in Europa dauerhaft neu sortieren. Es bleibt spannend zu beobachten, wie der Markt reagiert und wer am Ende die neue Souveränitäts-Benchmark setzt.

Die Einführung der AWS European Sovereign Cloud zeigt, wie vielfältig die Optionen im Cloud-Markt inzwischen geworden sind. In unserer Plattformberatung unterstützen wir Sie dabei, technologieoffen zu prüfen, welcher Ansatz wirklich zu Ihrer Strategie passt, egal ob Hyperscaler oder europäische OpenStack-Alternative.

de_DEDeutsch
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